Nassölleitungen im Erdölfeld Voigtei überspannen Gräben an vielen Stellen
Neulich hatte T. ein Foto geschickt, das völlig neue Erkenntnisse über den
Stand der Technik hinsichtlich Nassölleitungen zu bringen schien. Das Foto hatte er parallel an Klaus Söntgerath, LBEG, gesendet, mit der Frage: „Welche Branchenrichtlinie oder Bergamtsgenehmigung regelt denn den Gebrauch von Plastikplane, Tüddelfaden und Klebeband zum Nassöltransport im Feld Voigtei? Ist Obi inzwischem den WEG beigetreten oder wie kommt sowas (…) zustande?“. Die
Lokation dieser Sehenswürdigkeit liegt nicht weit entfernt vom ursprünglichen Ziel unserer kleinen Bildungsreise nördlich und südlich der Weser im Landkreis Verden/Aller, zu der wir uns just aufmachen wollten, um uns über die heute gängige Praxis der Förderung von Kohlenwasserstoffen (Gas und Öl) zu erkundigen. T.’s Foto kam im richtigen Moment und so wurde die Route kurzerhand um einen Abstecher nach Voigtei erweitert.
Aber erstmal ging’s nach Langwedel, zum Betriebsplatz Völkersen, wo wir als Gäste an einem Treffen von Einwohnern, Bürgermeister Brandt und dem Leiter der Abteilung Grundwasser und Boden bei der BGR, Dr. Michael Kosinowski, teilnehmen konnten.
Betriebsplatz Völkersen von Nordwest aus gesehen
Wir waren etwas vor dem verabredeten Termin da, also umrundeten wir das eingezäunte Betriebsgelände und schauten es von allen Seiten an. „Das ist größer als zwei Fußballfelder.“, konstatierte D., der so eine Gasförderanlage zum ersten Mal sah. Tatsächlich erstreckt sich das Gelände mit den Bohrungen Völkersen Z1 und Z2 sowie Z7 bis Z10 über eine Fläche von ca. 350 x 400 Metern. In den acht, auch horizontal abgelenkten Bohrungen an sechs Bohrplätzen wurde im Jahr 2000 das erste Mal gefrackt;
bis 2011 stieg die Zahl der Fracs auf 17.
Am Bohrturm Völkersen
2011 wurde hier die
erste Benzol-Leckage am insgesamt 220 km langen Netz der Lagestättenwasser-(LaWa-)Leitungen in diesem Erdgasfeld entdeckt – einer von vielen bekannt gewordenen
Störfällen in Niedersachsen. 39.000 µg/m³ des krebserregenden Stoffes wurden auf dem Feld zwischen Betriebsplatz und Schülinger Friedhof gemessen,
7800-mal mehr als der maximal zulässige Grenzwert des Umweltbundesamtes. Außerdem wurde inzwischen nachgewiesen, dass das
LaWa im Gasfeld Völkersen Quecksilber enthält, das sich auch in den LaWa-Leitung befindet oder befand, entgegen der Behauptung der Betreiberin (RWE Dea). Inzwischen seien alle PE-Rohre gegen diffusionsdichte Rohre ausgetauscht,
wird gesagt. Die Bodensanierungsarbeiten dagegen dauern noch an und sollen voraussichtlich diesen Sommer abgeschlossen sein. Die Verantwortung für das Quecksilberproblem hingegen lehnt die RWE Dea ab, wie aus ihrer Stellungnahme zu einem entsprechenden
Artikel in der HAZ v. 26.03.2013 hervorgeht (s.
Bürgerinformationsseite Völkersen der RWE Dea).
Ein offenes Problem im Flecken Langwedel sind die vermuteten Bergschäden, die nach dem Erdbeben am 22. November 2012 in Völkersen aufgetreten sind. Bürgermeister Brandt berichtete von 103 Schadensmeldungen und dass es inzwischen gelungen sei, einen einvernehmlich bestellten Gutachter auf Kosten der RWE Dea zu finden. Der begutachte momentan die gemeldeten Schäden. Am 24. Juni 2013 will Brandt zu einer Informationsveranstaltung im Gasthof Klenke in Völkersen einladen, weil es dann neue Informationen geben werde. Bis dahin könnte auch schon mehr über das letztjährige Beben gesagt werden, weil am 14. Juni 2013 die Ergebnisse veröffentlicht werden sollen, die die Untersuchungen des Geoforschungszentrums Potsdam und der BGR dann ergeben haben werden. Bis jetzt wird nur erst vermutet, dass das Beben seine Ursache in der Erdgasförderung von Völkersen hat. Kosinowski, der vor Ort zwei Häuser und Grundstücke von Betroffenen selbst in Augenschein nahm, versprach, sich bei seinen zuständigen Kollegen für eine objektive Abwicklung von Schäden einzusetzen, wenn sie durch die Gasförderung verursacht seien.
Staffhorst (Wintershall)
Wir verabschiedeten uns und fuhren weiter Richtung Süden, überquerten die Weser, durchfuhren idyllische Dörfer und Kleinstädte, die auch schon mal bessere Zeiten gesehen haben, immer weiter Richtung Vogtei, wo wir uns mit eigenen Augen vom aktuellen Stand der Technik überzeugen wollten. Lange war von der kohlenstoffreichen Gegend nichts zu merken, keine Fördertürme oder sonstigen Anlagen. Doch dann, als wir kurz vor Borstel (Landkreis Diepholz) aus dem Wald kamen, mehrere Erdgasfackeln ringsum im Panorama. Dicht an der Straße zwei Betriebsplätze, ähnlich groß wie der in Völkersen. Wir hielten an und schauten uns um: Hier sind die Bohrungen
, aus denen Wintershall Erdgas fördert. Genauer gesagt, Sauergas, denn das Gas ist schwefelhaltig. „Schwefelwasserstoff (H2S) – Fluchtfilter mitführen“ bellte ein grellorangenes Schild, der obligate Totenkopf grinste dazu „Sehr giftig!“ Ein dezenter Schwefelduft in der Luft, mit einer deutlich wahrnehmbaren brandigen Note, wie nach Teer oder altem Gummi. D. hatte einen Namen dafür: „Hier riecht’s nach PAK!“ Das alte
PAK mal wieder, mit dem lange bedenkenlos herumgepfuscht wurde und was bis zum heutigen Tag, immer noch, sogar in neu produziertem Kinderspielzeug zu finden ist, obwohl seine Giftigkeit längst bekannt ist. Wir fuhren weiter und lasen später
im asendorf.info-Blättchen, dass hier seit Beginn der Förderung fast 63 Megatonnen Schwefel mit dem Gas mitgefördert wurden.
Erdgasaufbereitung in Voigtei (ExxonMobil)
Weiter führte der Weg, jetzt vorbei an Gasförderstationen alle paar Hundert Meter, viele davon mit Fackeln, unter den Stationen ohne Fackeln sicher auch Verpressstellen, an denen das mitgeförderte LaWa wieder unter Tage gebracht wird. Die Straße wurde schmaler, wir gelangten ins Borsteler Moor. Wenn man sich die vielen Industrieanlagen wegdachte, die weiterhin alle paar Hundert Meter im Vorder- wie im Hintergrund auftauchten, dann konnte man sich vorstellen, wie wildromantisch hier einst ausgesehen haben mag.
Plötzlich füllt östlich eine riesige Anlage den Horizont, mit zwei sehr hohen Fackeln und zwei noch höheren Schloten: Die NEAG (Norddeutsche Erdgasaufbereitungsanlage). Hier wird das Gas aus der Region getrocknet und entschwefelt und manchmal brennen auch die Fackeln, was nachts bestimmt besonders beeindruckend ist, weil nachts zu dem Krach auch noch der helle Schein dazu kommt.
Voigtei: Eine Nassölleitung überquert einen Graben; hinten ein Erdölpumpe
Wir passierten die NEAG und kaum hatten wir sie hinter uns, wechselte das Bild, die Moorlandschaft wurde von Ackerflächen abgelöst, durchzogen von Gräben, und statt Gasförder- oder -verpressstellen nickten jetzt kleine Pferdekopfpumpen, in ähnlich hoher Frequenz übers Land verteilt wie zuvor die Gassonden. Hier fördert heute
ExxonMobil Productions Deutschland GmbH (EMPG), Betrieb Barenburg, Erdöl. Die etwa 2 Meter tiefen Entwässerungsgräben in diesem ehemaligen Moorgebiet wurden immer wieder gequert von Nassölleitungen, die stets in gut einem Meter Tiefe verlegt waren und die einzelnen Förderpumpen in einem Netz miteinander verbanden. Manche dieser Leitungen waren mit einer schaumgummiartigen Masse umhüllt, manche zeigten sich „nackt“, die meisten waren irgendwas dazwischen.
Ob Erdgas oder Erdöl: Wo Lagerstätten ausgefördert werden, überzieht ein dichtes Netz von Förderquellen oder -pumpen die Landschaft. Auf der Fahrt zurück nach Haus stellten wir uns vor, dass das dem Hamburger Süden auch blühen kann, wenn EMPG (namens und im Auftrag von BEB) eines Tages hier eine Lagerstätte findet, die sie für ausbeutbar halten. Dann allerdings wohl kaum nach alter Väter Sitte mit solchen konventionellen Anlagen, wie wir sie heute sahen, sondern mit hochmodernen Methoden, die sie stolz als „Technologie“ bezeichnen und die nichts anderes als Fracking bedeutet.
Später am Abend fand sich auch die Antwort auf T.’s Frage an Klaus Söntgerath vom LBEG: Plastikplane, Tüddelband und Klebstreifen an der Nassölleitung sollen die defekte Isolierung provisorisch ersetzen, bis die Leitung ordnungsgemäß gewartet wird. Die Isolierung dient dazu, dass das Öl in der Leitung nicht sulzig wird, wenn im Winter die Temparatur niedrig ist. Das Rohr sei weiterhin dicht, eine Gefahr für die Umwelt bestehe nicht, schrieb Söntgerath in seiner Antwort.